Predigt: Ein kaltes, gebrochenes Halleluja

Die folgende Predigt zu Leonard Cohens Hallelujah hielt ich am 10. Februar 2019 im PAX Life Jugendgottesdienst in der Michaeliskirche Leipzig. Es ist auch ein Audio-Mitschnitt der Predigt auf Soundcloud verfügbar.


„Hallelujah“. Das Lied ist äußerst bekannt und braucht keiner weiteren Vorstellung. Ihr alle kennt es sicher, vielleicht ist es sogar ein Lieblingslied.

Wie soll man es auch durch’s Leben schaffen, ohne dieses Lied gehört zu haben? Das „Hallelujah“ wird zu allen möglichen Gelegenheiten vorgetragen: Taufen, Hochzeiten, Beerdigungen. Gefühlt jede zweite schnulzige oder traurige Filmszene wird mit dem Song untermalt. Sogar als Lobpreislied wird das „Hallelujah“ verwendet. Man kann dem Song wirklich kaum entrinnen.

Der Autor von „Hallelujah“, Leonard Cohen, hat in einem Interview über sein Lied gesagt: „Es ist ein guter Song, aber ich finde, er wird zu oft gesungen.“

Er hat also offensichtlich einen Nerv getroffen mit seinem Lied. Ich möchte mir dieses „Hallelujah“ von Leonard Cohen heute abend mit euch deshalb einmal genauer anschauen.

Leonard Cohen

Leonard Cohen, der inzwischen leider bereits gestorben ist, kam ursprünglich aus Kanada. Er stammte aus einer sehr orthodoxen jüdischen Familie. Er war zunächst viele Jahre Dichter und Schriftsteller, bevor er anfing, Lieder zu schreiben.

Als Leonard Cohen sein berühmtes „Hallelujah“ vor 35 Jahren veröffentlichte, erregte er damit wenig Aufmerksamkeit. Cohens’ Plattenlabel hatte das Album zuerst sogar abgelehnt, weil es ihnen zu uninteressant schien. Und als es dann doch veröffentlicht wurde, war es nicht sehr erfolgreich.

Dabei hatte Cohen viele Jahre an diesem Lied gearbeitet. Man sagt, dass er über 80 verschiedene Strophen entworfen hatte, bis er sich am Ende auf eine Handvoll einigen konnte, die er vorzeigen wollte.

Der Inhalt dieser Strophen ist sehr von Cohens persönlichen Erfahrungen geprägt. Er schreibt über über das Scheitern von Liebe und Beziehungen. Man erzählt sich, Cohen habe beim Schreiben seines Liedes am Ende in Unterwäsche auf dem Fußboden eines Hotelzimmers gesessen und seinen Kopf gegen den Boden gehämmert. Weil es eine intensive Erfahrung ist, sein Innerstes auf Papier zu bringen; ich weiß nicht, ob ihr schon einmal versucht habt, ein Gedicht über eurer Leben zu schreiben.

Am Ende ist dabei ein musikalisch ganz schlichtes Lied herausgekommen. In C-Dur und ganz einfach gehalten.

Die Strophen erzählen in Bildern davon, wie Menschen in Beziehungen einander verletzen, wie Menschen sich voneinander entfremden und man sich am Ende fragt, was Liebe eigentlich sein soll. Darum geht es eigentlich in „Hallelujah“. Es ist zunächst ein völlig prophanes Lied über Liebe, Sex und Entäuschung.

Aber das Lied heißt ja nun „Hallelujah“. Das Wort „Halleluja“ kommt aus dem Hebräischen und heißt: „Lobet Gott“. Wir kennen das Wort vor allem aus vielen Psalmen des Alten Testaments. Aber hat Cohens „Hallelujah“ irgendwie mit den Psalmen aus der Bibel zu tun?

König David und Batseba

Lasst uns mal einen genaueren Blick auf den Text werfen. Da geht es gleich am Anfang um König David, den wir aus dem Alten Testament kennen:

Man sagt es gibt einen geheimen Akkord,
Den David spielte, und dem Herrn gefiel es.

In der zweiten Strophe geht es weiter mit David:

Dein Glaube war stark, aber du wolltest Beweise,
Du sahst sie, wie sie auf dem Dach badete,
Ihre Schönheit und das Mondlicht überwältigten dich.

Dies ist eine Anspielung auf eine Geschichte aus der Bibel, genauer aus 2. Samuel, Kapitel 11. Dort heißt es folgendermaßen:

An einem Spätnachmittag erhob sich David von der Mittagsruhe und ging auf dem Dach des Palastes umher. Da fiel sein Blick vom Dach aus auf eine außergewöhnlich schöne Frau, die gerade ein Bad nahm. Er schickte einen Diener los, der herausfinden sollte, wer die Frau war. Man sagte ihm: »Es ist Batseba, die Tochter von Eliam und Frau des Hetiters Uria.« Da ließ David sie holen; und als sie in den Palast kam, schlief er mit ihr.

Wir wissen leider nicht, ob das wirklich eine Liebesbeziehung zwischen den beiden war. Vielleicht hat Batseba ja auch mit David geflirtet, so von Dach zu Dach. Aber klar: Wenn der König dich einlädt, dann gehst du hin, egal ob du willst oder nicht. Und wenn der König mit dir schlafen will - ich weiß nicht, wie viel freie Wahl Batseba bei der Sache wirklich hatte.

Im Fortlauf der Geschichte geht jedenfalls alles schief, was schief gehen kann. Bathseba wird von ihrem One-Night-Stand mit dem König schwanger. David versucht, die Affäre zu vertuschen. Bathsebas Ehemann, Uria, war ein Soldat in Davids Armee und zu dieser Zeit im Kriegseinsatz. David heckt den Plan aus, Bathsebas Mann Uria spontanen Heimaturlaub zu geben. Seine Hoffnung ist, dass die Schwangerschaft Batsebas auf diese Weise „unverdächtig“ wird, weil dann ja genausogut Uria der Vater sein könnte. Er hätte sich dann in Zukunft von Batseba fern gehalten und niemand hätte je etwas von der ganzen Geschichte erfahren müssen. Ein guter Plan.

Der Versuch schlägt allerdings fehl. Und zwar, weil Uria sich weigert, sich zu seiner Frau zu gesellen. Weil er sich nicht vergnügen will, während seine Kameraden im Krieg kämpfen und sterben. Ein ehrbarer Mann. Da greift David zum ultimativen Mittel: David schickt Batsebas Mann Uria zurück in den Krieg, und zwar an die vorderste Front: „sodass er getötet wird“, heißt es in der Bibel. Diesmal geht der Plan auf: Uria fällt in der Schlacht. David kommentiert den Tod seines Soldaten furchtbar lakonisch: „Das Schwert tötet mal den einen, mal den anderen“, heißt es in der Bibel. Natürlich was das alles andere als ein schicksalshafter Unglücksfall, sondern genau das, was David erreichen wollte.

Als Batseba vom Tod ihres Mannes erfährt, ist sie natürlich bestürzt. David lässt ihr etwas Zeit zum Trauern. Aber dann fällt ihm auf, dass ihn jetzt ja nichts mehr daran hindert, Batseba wieder zu sich zu holen und das Kind als sein eigenes anzunehmen. Und so kommt es dann auch. David heiratet Batseba. Wir erfahren nichts über die Hintergründe der Hochzeit. Ob das auch Batsebas Wunsch war. Es sieht allerdings so aus, als ob Batseba nicht erfuhr, dass David schuld am Tod ihres Mannes Uria war.

Damit war es aber noch nicht genug mit dem Unglück, das David über seine Familie gebracht hatte. Es kommt an die Öffentlichkeit, dass David den Tod seines Soldaten Uria willentlich herbeigeführt hat. Und dann das nächste Unglück: Das Kind Batsebas und Davids stirbt nicht lange nach der Geburt. David ist tief betrübt. Wir erfahren wenig darüber, was Batseba durchmacht. Sie muss erfahren, dass David sie betrogen hat, ihr Leben zerstört hat. Und nun liegt auch das neue Leben, dass sie sich aufgebaut hatte, in Scherben.

Aber wie auch immer die Beiden das hinbekommen haben, Batseba und David bleiben zusammen und zeugen zusammen ein weiteres Kind: Den berühmten König Salomo.

Trotzdem blieb ein dunkler Schatten über Davids Königsherrschaft. Seine Nachkommen bekämpften sich bis aufs Blut im Kampf um den Thron. Und nicht lange nach Davids Tod zerbricht dessen prächtiges Königreich in zwei Länder, die danach noch viele hundert Jahre miteinander im Zwist liegen sollten, bevor am Ende durch weltpolitische Umwälzungen beide Reiche untergingen.

Na Halleluja.

Leonard Cohens Halleluja

Ja, man möchte fragen, wo in dieser Geschichte das „Halleluja“ steckt! In Leonard Cohens „Hallelujah“ besteht ja der gesamte Refrain immer wieder nur aus diesem einen Wort: „Halleluja“. „Lobet Gott“.

Tatsächlich liegt in der Bibel niemandem das „Halleluja“ so häufig im Munde wie unserem König David. Die meisten der Lieder und Gedichte aus dem Buch der Psalmen werden David zugeschrieben.

Manchmal wird über die Psalmen so gesprochen, als wären sie das Lobpreis-Songbuch des Alten Testaments, voller epischer Lieder, in denen Gottes Größe und Herrlichkeit besungen wird, voller Licht und Freude, wie ein Händel-Oratorium – Ihr kennt vielleicht dieses berühmte „Haaaaa-Le-lu-ja“ Chorstück. Und ja, solche Lieder gibt es in den Psalmen auch.

Aber das „Halleluja“, das Leonard Cohen singt, ist kein solches triumphierendes, lautes, feierndes Halleluja. es ist ein gedämpftes, ein nachdenkliches Hallelujah, von dem er singt. In der letzten Strophe von „Hallelujah“ singt Cohen:

Es ist kein Ruf der durch die Nacht hallt,
Es ist kein Typ der das Licht gesehen hat
Es ist ein kaltes, ein gebrochenes Halleluja.

König Davids Halleluja

Wenn ich mich im Buch der Psalmen umsehe, dann finde ich doch auch Psalmen, die ein Lied singen, das viel mehr nach Cohen klingt als nach Händel. Psalmen, die ein gebrochenes, ein kaltes Halleluja singen. Und da treffen wir wieder auf unseren alten bekannten, König David: Der 51. Psalm stammt seiner eigenen Überschrift nach „aus der Zeit, als der Prophet Nathan zu David kam, nachdem dieser mit Batseba Ehebruch begangen hatte.“

David schreibt davon, dass die Erinnerung an seine Schuld ihn Tag und Nacht verfolgt. „Ich war ein Sünder - von dem Augenblick an, da meine Mutter mich empfing.“, sagt er. Aber er will Gott ein Loblied, ein Halleluja, singen. Er bittet Gott im Gebet „Gib mir meine Freude zurück und lass mich wieder fröhlich werden, denn du hast mich zerbrochen.“ „Das Opfer, das dir gefällt, ist ein zerbrochener Geist. Ein zerknirschtes, reumütiges Herz wirst du, Gott, nicht ablehnen.“

Jetzt wird auch sonnenklar, warum Leonard Cohen über König David schreibt. Weil David auch einer war, der um Mitternacht in Unterwäsche in seiner Kammer saß und sich haareraufend Verse aus der Seele geleiert hat. Der auch gescheitert ist in seinem Leben, gescheitert ist in der Liebe, und total gescheitert ist vor Gott.

Und trotzdem wollen beide, König David vor 3000 Jahren und Leonard Cohen vor 35, ein Halleluja singen. Weil sie erkannt haben, dass vor Gott nicht nur die Glücklichen, die Gesegneten und die Erfolgreichen einen Platz haben, sondern auch die, die ihr Halleluja in „Moll“ singen. Die, die sich Gott meistens eher fremd fühlen. Die mit der Bibel nichts anfangen können. Die sich fühlen, als gehen ihre Gebete nur bis zur Zimmerdecke.

Als ich etwas jünger war, habe ich viel mit mir gerungen. Ich war überzeugt davon, dass Gott von mir will, dass ich Zeit mit ihm verbringe, jeden Tag meine Stille Zeit halte, in der Bibel lese und bete. Ich wollte Sachen mit Gott erleben und dachte, wer das will, der muss auch besonders nahe dran sein an Gott. Der muss regelmäßig die Bibel lesen. Der muss eine Gebetsliste führen und abarbeiten. Das einzige „Halleluja“-Lied, dass ich kannte, war dieses super-fromme Halleluja, und das hab ich versucht mit meinem Leben zu singen. Aber ich hab das nicht hinbekommen. Zumindest niemals so gut, dass ich zufrieden gewesen wäre mit mir. Oder dass ich dachte, Gott wäre zufrieden mit mir.

Ich glaube, als Christen verwechseln wir das manchmal. Wir stellen hohe Ansprüche an uns und unseren Lebenswandel. Und das ist auch nichts Schlechtes. Aber wir stehen viel zu schnell vor dieser Geschichte aus der Bibel und sagen: Dieser David, der hätte sich mal ein bisschen zusammenreißen können, da auf seinem Palastdach. Dann wäre ihm das alles erspart geblieben. Wir lesen das als eine Warngeschichte: Sei nicht wie dieser David! Dabei steht in der Bibel auch, dass David „ein Mann nach Gottes Herzen“ war. Dieser David war total richtig! Ein Mann nach dem Herzen Gottes. Nicht weil er immer alles richtig gemacht hatte. Im Gegenteil, dieser David hatte noch eine ganze Menge anderen Dreck am Stecken. Sondern weil er sich mit leeren Händen vor Gott gestellt hat und gesagt hat: Hier ist mein gebrochenes Halleluja, hier ist mein Leben. Mach was draus.

Und darin können wir uns David gut und gern als Vorbild nehmen.

In der frühesten Version seines Songs endete Leonard Cohen mit folgenden Worten, mit denen ich genauso passend diese Predigt beenden kann:

Ich hab mein Bestes getan, es war nicht viel, […]
Und obwohl alles schief gegangen ist
Werde ich stehen vor dem Herrn der Lieder
Mit nichts auf meinen Lippen als Halleluja.

Amen.