Uralte und „neue“ alte Bücher – Die Torah-Rolle der Bologna-Bibliothek
Kennt ihr das? Manchmal schaue ich in mein großes Bücherregal auf der Suche nach nichts bestimmten und stoße auf ein Buch, das ich scheinbar noch nie gesehen, geschweige denn gelesen habe.
So ähnlich ist das jetzt den Leuten an der Universitätsbibliothek in Bologna passiert (Ja, die Stadt, die dem berüchtigten Bologna-Prozess ihren Namen gab).
Dort ist jetzt Dr. Biancastella Antonino, ein Professor für Hebräisch beim Stöbern auf ein Dokument gestoßen. Genauer gesagt eine kaum unauffällige Schriftrolle, 36 Meter lang und 64 Zentimeter hoch. Als er sie aufrollte, dürfte er wohl seinen Augen nicht getraut haben: Die Rolle enthielt die gesamte Tora, die fünf Bücher Mose. Der Professor erkannte die orientalisch-babylonische Tradition der Handschrift und datierte diese nach kurzer Untersuchung auf das frühe dreizehnte Jahrhundert – lange vor den Texten aus dem späten 17. Jahrhundert, bei denen die Rolle gelagert war! Damit ist diese Rolle die mit Abstand älteste vollständig erhaltene Version des Pentateuch, die uns erhalten ist. Ein Artefakt von unschätzbarem Wert!
Das erste Indiz für die Frühdatierung des Dokuments waren wohl die zahlreichen Verstöße der Handschrift gegen die Transkiptionsregeln des Maimonides. Diese Abweichungen konnte sich Prof. Antonino nur damit erklären, dass der Text aus einer Zeit stammt, bevor Maimonides diese rabbinische Abschreibetradition begründete. Diese These wurde etwas später durch zwei Radiokarbontests belegt.
Bei daraufhin angestellten Nachforschungen der Bibliothek stellte sich heraus, dass einem jahrelangen Bibliothekar im 19. Jahrhundert die Rolle durchaus bekannt war. Sie war unter dem wenig beeindruckenden Titel „Rolle 2“ archiviert. Dem Bibliothekar war, wie er in einem Inventar vermerkte, die ungewöhnliche Schreibart auch aufgefallen, was er aber auf eine „ungeschickt wirkende italienische Hand“ zurückführte.
Wie lange die Schriftrolle in den Archiven der Biblioteca Universitaria di Bologna vor sich hin vegetierte, ist noch nicht bekannt. Die (Neu-)Entdeckung dieses Textes hat jedoch so viel Aufmerksamkeit in akademischen Kreisen erlangt, dass diese Frage und die nach dem Urheber hoffentlich in naher Zukunft geklärt werden kann.