Thronwagen oder Quadrocopter?
In einer alttestamentlichen Vorlesung las der Professor über die Herrlichkeit Gottes. Eine eindrückliche Beschreibung des göttlichen „Kabod“ findet sich im ersten Kapitel des Prophetenbuchs Ezechiel, in der sogenannten Thronwagenvision. Geschildert wird ein beeindruckendes Gefährt:1
Und ich sah, und siehe, es kam ein ungestümer Wind von Norden her, eine mächtige Wolke und loderndes Feuer, und Glanz war rings um sie her, und mitten im Feuer war es wie blinkendes Kupfer. Und mitten darin war etwas wie vier Gestalten; die waren anzusehen wie Menschen. Und jede von ihnen hatte vier Angesichter und vier Flügel. Und ihre Beine standen gerade, und ihre Füße waren wie Stierfüße und glänzten wie blinkendes, glattes Kupfer. […] Und sie hatten Felgen, und ich sah, ihre Felgen waren voller Augen ringsum bei allen vier Rädern. Und wenn die Gestalten gingen, so gingen auch die Räder mit, und wenn die Gestalten sich von der Erde emporhoben, so hoben die Räder sich auch empor […]. Und über der Feste, die über ihrem Haupt war, sah es aus wie ein Saphir, einem Thron gleich, und auf dem Thron saß einer, der aussah wie ein Mensch. Und ich sah, und es war wie blinkendes Kupfer aufwärts von dem, was aussah wie seine Hüften; und abwärts von dem, was wie seine Hüften aussah, erblickte ich etwas wie Feuer und Glanz ringsumher. Wie der Regenbogen steht in den Wolken, wenn es geregnet hat, so glänzte es ringsumher. So war die Herrlichkeit des HERRN anzusehen. (aus Ezechiel 1,4–28, gekürzt.)
Unser Prof deutete diese Vision als eine Art Streitwagen. Die Israeliter zu Zeiten Ezechiels verfügten nicht über Streitwagen und andere fortgeschrittene Kriegsmaschinerie; die verhassten Perser und ägypter sehr wohl. Eine Schar Streitwagen, die in einer Reihe in rasender Geschwindigkeit in die Schlacht fuhr, bot einen ehrfurchterregenden Anblick. Daran soll die Thronwagenvision Ezechiels anknüpfen. Hier ist es Gott selbst, der im Wagen sitzt, der von den Cherubim gezogen und vom Geist Gottes gelenkt wird.
Ein entscheidender Nachteil eines Streitwagens war sein großer Wendekreis: Durch die unbeweglichen Räder und das fest vorgespannte Pferd waren diese Wagen nicht besonders flexibel lenkbar. Der Thronwagen Gottes in Ezechiels Vision ist konventionellen Streitwagen in dieser Hinsicht klar überlegen:
Immer gingen sie [die Gestalten] in der Richtung eines ihrer Angesichter; wohin der Geist sie trieb, dahin gingen sie; sie brauchten sich im Gehen nicht umzuwenden.
Der Thronwagen ist also ein Streitwagen mit Rädern, die ohne weiteres die Richtung wechseln können. Ich stelle mir das in etwa so vor wie bei den Rädern eines Einkaufswagens (Auch wenn die Vorstellung eines Streitwagens mit Einkaufswagenrädern einiges an Furchtbarkeit einbüßt …).
Während meiner weiterführenden Internetrecherche stieß ich noch auf eine alternative Deutung der Thronwagenvision. Diese ist war deutlich weniger plausibel, dafür aber um so spannender:
In den 60er Jahren war der Ingenieur Josef F. Blumrich damit beauftragt, für die NASA Mondraketen zu entwerfen. Als er über obigen Hesekieltext stolperte, sah er darin keine Vision des Thrones Gottes, sondern ein UFO, eine Art propellerbetriebenes Fluggerät – einen Quadrocopter, wenn man so will:
Zunächst finde ich Blumrichs Kreativität äußerst bemerkenswert. Als zweites bin ich schockiert, wie gut die Beschreibung Ezechiels auf ein modernes Fluggerät passt. Das Video illustriert die Theorie Blumrichs, unterlegt von dem Ezechieltext. Und tatsächlich lässt sich so ziemlich jedes Detail in eine Raumschiffbeschreibung übersetzen.
Vermutlich ist das Ganze Spinnerei auf dem Level eines Erich von Däniken (und ist natürlich von demselben aufgegriffen worden), aber immerhin hat es Unterhaltungswert. Und jedes mal, wenn ich jetzt über Ezechiel 1 stolpere, muss ich an ein kupfern glänzendes Raumschiff denken.
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Man nennt diesen Thronwagen nach dem hebräischen Wort für Wagen auch מרכבה (Merkabah). Das Bild vom Thronwagen hat in der jüdischen Mystik eine ganze Literaturgattung hervorgebracht, die Merkabamystik. ↩