Der Zeitgeist

Neulich ist mir aufgefallen, dass mir immer wieder ein bestimmtes Stichwort begegnet, besonders aus konservativen Kreisen: Der „Zeitgeist.“

Da wird gesprochen vom „Nebel des Zeitgeistes“, von den „Bauchrednern des Zeitgeistes“ oder es wird die „Anbiederung an den Zeitgeist“ angeprangert und die „Widerstandslose Unterwerfung unter den Zeitgeist“ beklagt. Dieser „Zeitgeist“ scheint überall zu lauern als stetige Bedrohung des Christlichen Abendlandes. Besonders von konservativen Christen wird gerne das Zeitgeist-Argument eingesetzt, zum Beispiel in Fragen der Gottesdienstgestaltung, aber auch in der Ethik, im Moment besonders in der Sexual- und Familienethik.

Sind wir als Christen wirklich dazu aufgerufen, dem Zeitgeist um jeden Preis zu widerstehen?

In einer gewissen Weise sind wir natürlich gegen den „Zeitgeist“, gegen den „Mainstream“ der Welt ausgerichtet. Denn unsere Botschaft ist im Kern das Evangelium vom gekreuzigten Christus, das der Welt eine Torheit sein soll – ja, sein muss.

Mit einem Leben im Dienst dieser Botschaft kommt auch eine gewisse Skepsis gegenüber „der Art dieser Welt“ einher. Aber diese sorgfältig prüfende Haltung impliziert für mich keine völlige Abschottung von weltlichen Werten. Und es bedeutet nicht, dass jede „nur“ humanistisch begründete Einsicht automatisch abgelehnt werden muss.

Schön hat das der Theologe und Ethiker Peter Dabrock in einem Interview mit evangelisch.de auf den Punkt gebracht:

Das Zeitgeist-Argument ist doch eine leicht durchschaubare rhetorische Figur. Paulus sagt: „Prüfet alles und das Gute behaltet“. Das heißt: Ob eine Entscheidung oder ein Trend Zeitgeist sind oder nicht, ist für das Glaubensverständnis zunächst völlig irrelevant. Die Frage ist, ob so etwas mit den Grundorientierungen des Glaubens vereinbar ist. Wenn außerhalb der christlichen oder religiösen Community überzeugende Lebensorientierungen entstehen, die dann auch die Kirche als gut erkennt, warum soll man sie nicht als ein Geschenk und einen Auftrag Gottes wahrnehmen? „Der Geist weht, wo er will.“

Das bedeutet es für mich, gegen den Strom zu schwimmen. Nicht jeder gesellschaftlichen Entwicklung in einem nutzlosen, ziellosen Widerstand entgegenzutreten, sondern dann, wenn es um das Evangelium geht, klar Stellung zu beziehen. Andere Dinge können wir in Ruhe prüfen und dann auch ganz schamlos übernehmen. Egal ob es dabei um die Frage geht, was für Musik wir in unseren Gottesdiensten spielen, oder um Fragen der Sexualmoral.

Ich halte den Zeitgeist nicht für eine Bedrohung sondern für eine Chance. Ich denke, man kann von diesem „Zeitgeist“ manches lernen, wenn man sich mit ihm auseinandersetzt. Aber mit einer Anti-Zeitgeist-Rhetorik entzieht man sich dieser Auseinandersetzung und „prüft“ eben nicht. Und dann gerät man in die Gefahr, auch einiges an „Gutem“ zu verpassen.