Typografische Vergehen: Rettet die Anführungszeichen
Wenn man es einmal gesehen hat, kann man nicht mehr wegsehen
Wir alle haben sie schon einmal verwendet: Zitatzeichen, Gänsefüßchen, Tüttelchen – Anführungszeichen halt.
Schon in der Grundschule lernt jedes Kind, dass wir in der geschriebenen Sprache Zitate und wörtliche Rede mit Anführungszeichen kennzeichnen. Also zwei kleine Neunen unten vor dem Zitat und zwei kleine Sechsen oben hinter dem Zitat. Etwas anderes haben wir nie gelernt.
Trotzdem begegnen einem immer wieder Zitate, die ganz anders gekennzeichnet sind.
Ein wirrer Zitatesalat
Wohl am häufigsten findet man im Internet Anführungszeichen, die so aussehen wie zum Beispiel auf zeit.de oder spiegel.de:
Hier sind die „Kringel“ vereinfacht zu jeweils zwei horizontalen Strichen ("
). Das könnte man ja als künstlerische(/typografische) Freiheit entschuldigen, aber aus Gründen befinden sich die Striche am Anfang des Zitates oben an der Zeile. Was soll das denn bedeuten?
Ein kurzer Exkurs in die Geschichte der Schriftsetzung
Die Antwort liegt in der Vergangenheit. In der Zeit vor weit verbreiteten Computern waren die gängigen Möglichkeiten zum Erzeugen von Text Handschrift, Schreibmaschine und Drucksatz.
Im Drucksatz gab und gibt es jedes erdenkliche Schriftzeichen als setzbares Druckelement, welches in alten Zeiten manuell vom Setzer auf die Druckplatte gelegt wurde. Und bis heute verwenden die gängigen deutschen Zeitungen und Zeitschriften in ihren Printausgaben kringelige 99-66-Anführungszeichen.
Bei Schreibmaschinen sieht die Sache anders aus. Bei der Schreibmaschine ist jede Taste durch feine Mechanik fest mit einem kleinen Druckkopf verbunden. Es war wichtig bei der Herstellung die Zahl der Tasten pro Maschine gering zu halten, damit die Geräte nicht zu groß werden und die Mechanik sich verheddert. Da die öffnenden und schließenden Anführungszeichen sich recht ähnlich sahen, wurden diese einfach auf ein Zeichen zusammengekürzt: Dem Typografischen Anführungszeichen ("
).
Dazu kommt noch, dass englische Anführungszeichen an beiden Enden am oberen Zeilenende standen (“So„
). Und da ein Engländer die Schreibmaschine erfand, kam ihm das so gerade recht. Diese Art, Textzitate zu kennzeichnen, ist dann mit der Schreibmaschine auch nach Deutschland übergeschwappt.
Das Typografische Anführungszeichen war ein echter Alleskönner: Es ersetzte nicht nur alle Varianten von Anführungszeichen, sondern auch das Zeichen für die Einheiten Zoll, Sekunden und Bogensekunden.
Jeder von uns hat die Typografischen Anführungszeichen schon einmal verwendet: an jedem x-beliebigen Computer mit der Tastenkombination Shift-2
. Dort befanden sie sich nämlich schon auf der Schreibmaschine und nach diesem Vorbild sind sie auch auf die Computertastatur gekommen. Es gibt zwar von Land zu Land unterschiedliche Tastaturlayouts, aber die Typografischen Anführungszeichen wurden aus Gewöhnung übernommen. (Der gleiche Effekt hat auch den (Halb-)Geviertstrich getötet.)
Dieses Zeichen wurde dann auch in den klassische digitale Standard-Zeichensatz ASCII integriert und damit in die meisten (auch deutschen) Computertexte.
Aber spätestens seit Unicode sind Computer nicht mehr an die alten Grenzen der Schreibmaschine gebunden. Gängige Computer können jedes denkbare Zeichen anzeigen und mit etwas Ahnung auch eintippen lassen. Aber dank Shift-2
machen das die wenigsten. Nicht einmal die großen seriösen Online-Publikationen.
Gleich doppelt falsch
Noch fauler (oder ahnungsloser) sind die Publikationen, die aus Gründen weder deutsche noch Typografische Anführungszeichen verwenden. Seht euch das Elend an, hier zum Beispiel der bekannte Tech-Blog basicthinking.de:
Wie kommt das? Als die Computer über ihr Schreibmaschinenerbe hinaus waren, versuchten Softwarehersteller wieder die klassischen Anführungszeichen zu etablieren. Da aber jeder nur Shift-2
drückte, erfand man die intelligenten Anführungszeichen. Die meisten modernen Textprogramme bieten diese Funktion, die versucht alle Typografischen Anführungszeichen automatisch in richtige Kringel zu verwandeln. Allerdings kann das so manches Programm nur auf Englisch (so wahrscheinlich auch das CMS von Basicthinking).
Es gibt noch Hoffnung
Richtig macht es uns als einsamer Vorreiter die F.A.Z. vor, die als einzige (mir bekannte) große deutschsprachige Publikation richtige deutsche Anführungszeichen auf ihrer Internetseite verwendet und nicht nur Schreibmaschinenersatzstriche.
Es ist nicht schwer das Internet zu einem besseren Ort zu machen. Ein erster Schritt wäre, in deinen Textprogrammen und Betriebssystem die Intelligenten Anführungszeichen zu aktivieren oder – noch besser – Anführungszeichen nicht mit Shift-2
, sondern mit Alt-0132
und Alt-0148
(Windows) oder Alt-^
und Alt-Shift-^
(Mac) einzugeben (Wenn ihr für Windows eine einfacherer Kombination kennt, lasst es mich wissen).
Texte sehen so nicht nur einfach besser aus, sondern würdigen auch die reiche typografische Geschichte unserer deutschen Schriftsprache. Außerdem machen die 99-66-Kringel den Nerd in mir glücklich.