Kritik an der Kritik
Letzte Woche hat Philipp für die Moment mal-Kolumne auf theologiestudierende.de einen Artikel geschrieben, in dem er die Frage stellte, was es bedeutet, „konservativ“ zu sein. Das Ganze war vor allem eine Abrechnung mit Christen, die ihre persönlichen Ressentiments gegen Homosexualität als „konservative Werte“ zu verkaufen versuchen.
Dieser Text hat bei einigen Lesern für reichlich Unruhe gesorgt. In den Kommentaren wurde Philipp vorgeworfen, dass er über andere herziehe und selbst eben solche Ressentiments zur Schau stelle, wie er sie an „konservativen“ Christen kritisiert – nur halt nicht gegen Homosexuelle, sondern gegen Evangelikale.
Dies ist in meinen Augen eine extrem problematische Argumentation. Hier wird die diskriminierende Ablehnung von Menschen mit homosexueller Prägung gleichgesetzt mit der Ablehnung solcher diskriminierender Meinungen.
Es scheint mir angemessen, von Diskriminierung zu sprechen, wenn eine Person aufgrund ihrer inhärenten Attribute benachteiligt oder herabgewürdigt wird. In keiner Weise mit Diskriminierung gleichzusetzen ist es, wenn jemand die Meinung oder Position einer Person kritisiert oder penalisiert – vor allem, wenn diese Position selbst andere diskriminiert. Schließlich ist niemand an eine theologische Meinung gebunden – sexuelle Orientierung hingegen ist eine Eigenschaft einer Person, die nicht einfach abgelegt werden kann.
Außerdem muss die Verhältnismäßigkeit im Blick bleiben. Viele schwule oder lesbische Menschen haben auch in Deutschland und auch in der Gegenwart noch mit massiven gesellschaftlichen Benachteiligungen zu kämpfen, sei es durch strukturelle Diskriminierung oder einfach durch die psychologische Belastung, die mit der Abweichung von einer gesellschaftlichen Norm einhergeht. Extrem konservative Christen hingegen müssen zwar durchaus auch damit rechnen, Aufgrund ihrer Weltanschauung belächelt oder kritisiert zu werden, jedoch scheint es mir nicht angemessen, hier von Verfolgung oder struktureller Benachteiligung zu sprechen. Eine Gleichsetzung der Schicksale Homosexueller auf der einen und streng konservativer Christen auf der anderen Seite empfinde ich als äußerst unverhältnismäßig und als Verhöhnung der Opfer der jahrhundertelangen Verfolgung von Schwulen und Lesben durch die christliche Kirche, die teilweise bis heute anhält.
Ich kann das auch gern noch biblisch begründen. In Mt 22 heißt es bekanntlich:
Und es fragte einer von ihnen, ein Gesetzesgelehrter, und versuchte ihn und sprach: Lehrer, welches ist das größte Gebot im Gesetz? Er aber sprach zu ihm: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deinem ganzen Verstand.“ Dies ist das größte und erste Gebot. Das zweite aber ist ihm gleich: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ An diesen zwei Geboten hängt das ganze Gesetz und die Propheten.
Das Doppelgebot der Liebe ist der unumstrittene Kern aller Ethik, die sich „christlich“ nennen will. Mt 22,40 sagt sehr deutlich, dass „das ganze Gesetz und die Propheten“ dem Liebesgebot untergeordnet sind. Demnach kann, soweit ich das sehe, eine Bibelhermeneutik, die zu lieblosen Handlungsmaximen (sei es gegenüber Gott oder den Menschen) führt, nicht dem Evangelium entsprechen.1
Also: Positionen, die diskriminierend sind (nämlich weil sie Menschen aufgrund ihres Wesens herabwürdigen) müssen und dürfen im theologischen Diskurs abgelehnt werden. Es mag sein, dass diese Ablehnung lieblos erscheint. Aber wahrhaft lieblos wäre es doch, nicht für unsere lesbischen und schwulen Mitmenschen einzutreten.
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Ich kenne die Argumente, nach denen eben das Aufzeigen der Sündhaftigkeit homosexueller Praktiken ein Akt der Nächstenliebe sein soll. Diese Argumentation scheitert daran, dass selbst ein flüchtiger Blick in die Christentumsgeschichte zeigt, wie viel Elend und Leid die kirchliche Ablehnung von Homosexualität für jene Menschen gebracht hat. ↩