Zwischen Diskurs und Dogmatismus – Das Kommuniqué des „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“
Nachdem ich mich zuletzt mit der hermeneutischen Methode des konservativen sächsischen Landesbischofs Carsten Rentzing beschäftigt habe, möchte ich in diesem Artikel versuchen, die Thesen/Forderungen des Netzwerk Bibel und Bekenntnis aus dem Kasseler Kommuniqué1 zu verstehen.
Dieses Kommuniqué ist besonders in theologisch liberaleren Kreisen heftig kritisiert worden. Ich möchte mich hingegen zunächst an einer Bestandsaufnahme der Gemeinsamkeiten mit meinen evangelikalen Geschwistern versuchen, bevor ich die Linien aufzeige, an denen sich zumindest mein theologischer Weg von dem des Netzwerks um Ulrich Parzany trennt.
Was uns eint
„Wir bekennen uns zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung“. (Glaubensbasis der Evangelischen Allianz)
An diesem ersten Punkt habe ich zunächst überhaupt nichts auszusetzen und stimme zu; allerdings mit der Hinzufügung, dass ich unter „göttlicher Inspiration“ keine Verbalinspiration verstehe. Und, dass die Autorität der Schrift nicht irgendwie selbstevident ist, sondern der sorgsamen und geistgeleiteten Auslegung bedarf; denn Heilige Schrift und Wort Gottes sind nicht einfach deckungsgleich. Ich glaube, das wäre so auch bei vielen Evangelikalen noch Konsens.
Wir stehen dafür ein, dass die rettende Botschaft von Jesus Christus allen Menschen gilt, den Juden zuerst. (Römer 1,16)
Hier wird es schon gleich ziemlich kontrovers. Das Kommuniqué spielt hier natürlich auf den umstrittenen Topos der Judenmission an. Die EKD hat hierzu eine klare Position: „Judenmission […] gehört heute nicht mehr zu den von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und ihren Gliedkirchen betriebenen oder gar geförderten Arbeitsfeldern“. Damit ist freilich nicht gesagt, dass Juden nicht zum Christentum konvertieren dürfen. Aber es steht uns als Religionsgemeinschaften im geschwisterlichen Verhältnis nicht zu, der Religion des Anderen die Heilswirksamkeit abzusprechen. Aber das steht ja auch so nicht im Kommuniqué. Natürlich gilt das Evangelium allen Menschen, und historisch gesehen ist es auf jeden Fall dem Judentum zuerst verkündigt worden. Somit kann ich auch dem zweiten Punkt zustimmen.
Wir widersprechen der falschen Lehre, es gäbe auch andere Wege zum Heil.
Wir widersprechen der falschen Lehre, dass Menschen durch die Taufe ohne den Glauben an Jesus Christus gerettet werden. (Markus 16,16)
Vielleicht bin ich zu naiv, aber an diesem Punkt finde ich überhaupt keinen Haken. Natürlich gehören Glaube und Taufe zusammen. Wer behauptet denn etwas anderes?
Wir stehen dazu, dass gemäß der Offenbarung Gottes der Mensch zum Ebenbild Gottes geschaffen wurde und dass die Polarität und Gemeinschaft von Mann und Frau zu dieser Ebenbildlichkeit gehört, wie Jesus Christus es ausdrücklich bestätigt hat. (1.Mose 1,26-28; Matthäus 19,4-6)
Oh, wenn es um die Geschlechter geht wird es wieder kontrovers. Aber die Formulierung des Kommuniqué2 ist erstaunlich diplomatisch. Polarität und Gemeinschaft von Mann und Frau gehört zur Gottesebenbildlichkeit dazu. Das stimmt natürlich und ist in der Theologie unumstritten. Selbstverständlich gibt es aber auch Lebensformen außerhalb dieser Polarität, die ebenfalls Teil der Gottesebenbildlichkeit sein können. Man denke nur an die Ehelosigkeit. Oder eben LGBTQ-Menschen. Die Kassler Formulierung lässt auch hierfür in meinen Augen Raum.
Was uns trennt
Wir widersprechen der falschen Lehre, gleichgeschlechtliche Beziehungen entsprächen dem Willen Gottes und dürften von den Kirchen gesegnet werden.
Sorry, liebe Evangelikale, aber hier trennen sich unsere Wege dann doch. Meine Position ist bekannt: Dass gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht dem dem Willen Gottes entsprechen, halte ich für nicht aus der Bibel heraus begründbar. Ich kann schon verstehen, dass man hier durch unterschiedliche herangehensweisen zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Aber eines dieser Ergebnisse einfach mal zur „falschen Lehre“ zu erklären, ist kein theologischer Diskurs sondern evangelikaler Dogmatismus, der nicht mehr wirklich an der Bedeutung der Schrift interessiert ist.
Wir sind uns einig, dass im Gegensatz zum postmodernen Denken das Bekenntnis zu Jesus Christus und der Lehre der Apostel mit logischer und theologischer Notwendigkeit die Verwerfung falscher Lehren einschließt. So widersprechen wir Ansichten wie zum Beispiel: Man müsse für zentrale biblische Wahrheiten eintreten, doch gleichzeitig seien gegensätzliche Verständnisse und Lesarten der Bibel zu akzeptieren.
Hier gleitet das Papier in meinen Augen leider in nicht nachvollziehbaren Unsinn ab. Freilich müssen wir alle für biblische Wahrheiten eintreten. Aber wenn unsere Glaubensgeschwister sagen: „Halt, das was ihr da für biblische Wahrheit haltet, verstehen wir ganz anders“, können wir doch nicht einfach sagen: „Pech, wir widersprechen eurer falschen Lehre!“ Sondern in so einem Fall müssen wir doch um eine gemeinsame Wahrheit ringen! Und uns natürlich bis zu einer Klärung gegenseitig akzeptieren. Was denn auch sonst, Kleinkrieg führen und einander vom Abendmahl ausschließen? Das scheint mir keine schriftgemäße Gemeindeführung.
So widersprechen wir Ansichten wie zum Beispiel:
Es sei dem Anliegen einer geistlichen Erneuerung der Kirche nicht zuträglich, wenn Missstände offen kritisiert werden. Ein „Ruf zur Mitte“ dürfe nicht ergänzt werden durch die Verwerfung von Irrlehre.
Hier habe ich wiedermal gegen den Wortlaut der These nichts einzuwenden. Na klar muss sich Kirche immer wieder selbst kritisieren und reformieren! Gleichzeitig müssen sich jedoch alle, die irgendetwas zur „Irrlehre“ erklären, an einer sauberen Hermeneutik und Exegese der Bibel messen lassen. Denn kein Christ und keine christliche Subgruppe „hat“ das Wort Gottes, sondern der Geist weht, wo er will.
Biblisch orientierte Gemeinden hätten ein Toleranzproblem und müssten sich für Pluralität in Lehrfragen öffnen. Sie müssten auch solche Mitchristen akzeptieren, die in Sünde leben und die diese Sünde gegen Gottes Willen rechtfertigen.
Ach, liebe evangelikale Geschwister. Es fällt mir so schwer, solche Sprüche wie den obigen ernst zu nehmen. Es müsste doch common sense sein, dass Christen nicht gegeneinander mit „Gottes Willen“ als verbalem Schlagstock vorgehen sollten. Unsere Messlatte ist, wie in Punkt eins von euch genannt, die Heilige Schrift, mit Geist und Verstand sorgfältig ausgelegt. Und solange ihr dem angeblichen Sünder nicht nachweisen könnt, wo er mit seiner Auslegung der Heiligen Schrift falsch liegt, habt ihr ihn weder zu diffamieren noch abzulehnen. Jeder hat, im Bilde gesprochen, das Recht auf einen fairen Prozess. Und dieser Prozess ist gerade im Blick auf den Streit um homosexuelle Partnerschaften offensichtlich noch nicht abgeschlossen.
Weil Jesus ein „Liebhaber“ und kein „Rechthaber“ gewesen sei, dürfe es auch keinen offenen, energischen Streit um die Wahrheit geben, wie er aber bei Jesus, bei den Aposteln, bei den Reformatoren und den Vätern der Barmer Erklärung stattfand.
Jetzt haben wir uns bis zur letzten Erklärung des Kommuniqué3 durchgekämpft und werden noch einmal enttäuscht. Hier wird behauptet, die Kirche würde irgendwie den „offenen, energischen Streit um die Wahrheit“ unterdrücken wollen. Dabei sind es doch gerade Sprüche wie „Wir wollen Leute nicht akzeptieren müssen, die wir zu Sündern erklärt haben!“, die den Streit abzuwürgen versuchen. Diese Botschaft kommt zumindest bei mir an.
Liebe evangelikale Geschwister, lasst uns gern streiten! Lasst uns das aber so tun, dass wir uns gegenseitig ernst nehmen und auch bereit sind, uns gegenseitig korrigieren zu lassen. Wenn ich etwas falsch verstanden haben sollte, schreibt gern einen kurzen Hinweis in die Kommentare.