„Heaven Scam“ – Eine Lüge von Himmel und Hölle?
Ich finde es immer interessant, wenn große deutsche Medien über theologische Themen berichten – oder es zumindest versuchen. Neulich erst fand ich auf der Seite der „Welt“ einen Artikel: „Skandal um Bestseller – Junge hatte seine ,Nahtod-Erfahrung’ erfunden“. Es geht dabei um „The boy who came back from heaven“, ein Buch, dass der US-amerikanische evangelikale Buchautor Kevin Malarkey mit seinem Sohn Alex geschrieben hat.1 Alex brach sich 2004 im Alter von sechs Jahren bei einem Verkehrsunfall das Genick – und berichtete Jahre später davon, wie er, während er im Koma gelegen hatte, den Himmel und die Hölle sah und Jesus und dem Teufel begegnete.
Aufhänger des „Welt“-Artikels war, dass der inzwischen 16-jährige und noch immer gelähmte Alex nun ein Statement gab, welches die gesamte Geschichte als fingiert offenbarte „Ich bin nicht gestorben. Ich bin nicht im Himmel gewesen. Ich hatte das nur behauptet, weil ich dachte, dass es mir Aufmerksamkeit bringen würde,“ heißt es im Text.
Nahtoderfahrungen sind längst kein parawissenschaftlicher Aberglaube mehr, sondern ein seit den 70ern und Raymond A. Moody eifrig empirisch untersuchtes Phänomen. Dass Menschen solche Erfahrungen immer wieder machen, steht außer Zweifel.
„Die Bibel genügt“
Das eigentlich theologisch relevante an dieser Geschichte ist die Frage nach dem Grund für diesen plötzlichen Sinneswandel. Es geht in der Stellungnahme von Alex nicht darum, aufgeklärt rational die tatsächliche Existenz einer Hölle oder eines Himmels anzuzweifeln. Geradezu das Gegenteil ist der Fall. Alex schreibt weiter in seiner Stellungnahme: „Als ich das alles behauptet hatte, hatte ich noch nie die Bibel gelesen. Menschen haben von Lügen profitiert und tun es immer noch. Sie sollten die Bibel lesen, sie genügt. Die Bibel ist die einzige Quelle der Wahrheit. Nichts von Menschen Geschriebenes kann unfehlbar sein.“
Ich denke es ist kein Zufall, dass die Stellungnahme von Alex auf „Pulpit and Pen“ veröffentlicht wurde – einer Art christlich-konservativem Investigativ-Portal, das sich vor allem damit beschäftigt, „Irrlehren“ in der evangelikalen Szene aufzudecken. Besonders wird dabei wert gelegt auf eine biblisch fundierte Lehre.
Es ging hier also um eine Frage des Bibelverständnisses. Für diese christliche Subkultur, in der die Stellungnahme von Alex Malarkey veröffentlicht wurde, liegt enormes Gewicht auf der wörtlichen Inspiriertheit und Fehlerlosigkeit der Bibel. Ein Buch hingegen, dass aufgrund menschlicher Erfahrungen versucht, biblische Wahrheiten zu „beweisen,“ läuft in dieser Gedankenwelt Gefahr, mit der Bibel als einziger Offenbarungsquelle zu konkurrieren.
Wie zieht man das eigene Buch aus dem Verkehr?
Für dieses Argumentationsmuster ist es eigentlich nebensächlich,ob die Geschichte von Alex Malarkey erfunden ist oder echt: eine weitere „Offenbarung“ neben der Heiligen Schrift kann so oder so nicht akzeptiert werden. „Pulpit and Pen“ hat die Stellungnahme von Alex entsprechend verwendet, um Druck auf den Verleger des Buches auszuüben. Und tatsächlich: Der „Heaven Scam“ hat den Verlag „Lifeway“ dazu gebracht, das Buch aus dem Handel zu nehmen.
Es spricht sogar einiges dafür, dass auch Alex Malarkey selbst (bzw. seine Mutter) diese Wirkung erzielen wollte. Seine Stellungnahme ist direkt an den Verleger „Lifeway“ adressiert. Sie schließt mit einem klaren Appell: „Wer diese Materialien vertreibt, muss zur Buße gerufen werden und die Bibel als genügend erachten.“
Alex’ Mutter Beth Malarkey hat sich auf ihrem persönlichen Blog klar und wiederholt gegen „The boy who came back from heaven“ ausgesprochen – nicht, weil das Berichtete nicht tatsächlich erlebt, sondern weil es nicht der Lehre der „sufficiency of scripture“ entspreche. Ihre Bemühungen waren bisher jedoch vergeblich. Ich wäre überhaupt nicht überrascht, wenn die Behauptung, die ganze Geschichte sei erfunden, ein letzter, verzweifelter Versuch gewesen wäre, das Buch aus dem Verkehr zu ziehen. Aber das ist natürlich Spekulation.
Der theologische Tellerrand
Viel von diesem Kontext ist dem „Welt“-Bericht entgangen – und ist wohl für die Allgemeinheit auch nicht weiter von Interesse. Man könnte auch fragen, warum ich jetzt darüber geschrieben habe.
Ich denke es ist sinnvoll, hin und wieder über den theologischen Tellerrand zu blicken – und sich auch mit Positionen, die uns fremd sind, zu beschäftigen. Gerade bei sehr konservativen oder evangelikalen Positionen habe ich das Gefühl, dass die evangelische Universitätstheologie diesen mit einer gewissen Hilflosigkeit gegenübersteht – und vieles schnell ablehnt.
Erster Schritt einer Auseinandersetzung muss jedoch der Versuch sein, die Gedankenwelt des anderen zu verstehen und nachzuvollziehen. Danach kann man immer noch anderer Meinung sein, aber eine ernsthafte Auseinandersetzung sollten uns auch zunächst fremde Theologien wert sein.
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Nicht zu verwechseln mit dem aktuell verfilmten Roman „Den Himmel gibts echt“, der von ganz ähnlichen Erfahrungen erzählt. Wahrscheinlich hat diese Verfilmung auch wieder Aufmerksamkeit auf „The boy who came back from heaven“ gelenkt. ↩