Liebe Kirche, wie geht’s weiter?
In der sächsischen Landeskirche findet zurzeit ein Gesprächsprozess zum Thema „Berufsbilder der Verkündigungsdienste“ statt. Anlass war die Reduzierung der Pfarrstellen um 7 % und die damit verbundene Feststellung, dass (nicht nur) diese Landeskirche in einer Krise steckt. Eine Arbeitsgruppe der Synode hatte bereits 2011 realisiert, dass die Lage ernst ist:
Die Arbeitsgruppe ist sich einig, dass die sich abzeichnende Entwicklung gravierende Auswirkungen auf das Berufs- beziehungsweise Aufgabenfeld der Mitarbeiter im Verkündigungsdienst haben wird. Soll weiterhin eine „flächendeckende Versorgung“ erhalten bleiben, wird diese in anderer Form zu leisten sein als bisher. Die Arbeitsgruppe ist überzeugt, dass die geplante Reduzierung der Dreigespanne von 590 heute auf 550 ab dem Jahr 2014 letztmalig ohne eine Neudefinition der Berufs- beziehungsweise Aufgabenfelder der Mitarbeiter im Verkündigungsdienst erfolgen kann. [Hervorhebung von mir]
Fast drei Jahre lang hat nun eine Arbeitsgemeinschaft von Synodalen im Auftrag der Kirchenleitung an einem Bericht gearbeitet, der sich mit den Berufsbildern beschäftigen und „notwendige Veränderungen“ aufzeigen soll. Jetzt endlich wurde dieser Bericht veröffentlicht. Die Kirche wünscht sich, dass die Ergebnisse der Arbeitsgruppe breit diskutiert werden; dies ist mein Beitrag zu dieser Diskussion.
Der Bericht mit dem knackigen Titel „Notwendige Veränderungen in den Aufgabenfeldern und Berufsbildern der Mitarbeitenden im Verkündigungsdienst“ bezieht sich gleichermaßen auf Pfarrer_innen, Gemeindepädagog_innen und Kirchenmusiker_innen. Als Theologiestudent kann ich nur für die angehenden Pfarrer sprechen und werde mich deshalb auf die Überlegungen zum Pfarramt konzentrieren.
„Grundsätzliche änderungen“ sind nötig
Oberstes Anliegen des Berichtes ist es, „[d]ie Attraktivität der einzelnen Berufsbilder“ zu stärken. Die Logik ist hier, dass mit wachsender Zufriedenheit der Mitarbeiter deren Berufe eine bessere Außenwirkung und damit hoffentlich mehr Nachwuchs bekommen sollen.1
Der nächstliegendste Weg, die Zufriedenheit der Angestellten zu steigern ist natürlich dafür zu sorgen, „dass auskömmliche Stellen im Verkündigungsdienst zur Verfügung stehen.“ Das Ziel ist hier nicht besonders hoch gesteckt. Es geht darum, dass alle Stellen in der Landeskirche für den Lebensunterhalt reichen. Das ist besonders bei den Kirchenmusikern heute nicht selbstverständlich. Solche Stellen sollen durch die „Bildung größerer Kirchgemeindeverbindungen“ geschaffen werden. Diese Struktureinheiten klingen interessant, im praktischen Vollzug blieben diese bisher jedoch unbefriedigend. Während meines Gemeindepraktikums habe ich diesen Prozess als „Regionalisierung“ kennengelernt – ein Konzept, das bei den dortigen Hauptamtlichen höchst umstritten war. Einige vermuteten dahinter nichts anderes als eine versteckte Strukturreform, die nicht weniger, sondern mehr Arbeitsbelastung für die Hauptamtlichen mit sich bringt. Denn in einem regionalisierten Gemeindeverband müssten nicht nur lokale Veranstaltungen weiterlaufen, sondern zusätzlich übergemeindliche Projekte konzipiert und mit Kollegen geplant werden.
Hoffnungsträger Ehrenamt
Der nächste Schritt ist die Förderung von ehrenamtlichen Mitarbeitern. Der Plan ist, dass Ehrenamtliche langfristig die Arbeitsbelastung der Hauptamtlichen verringern sollen. Dem gegenüber steht allerdings, dass die Hauptamtlichen auch „stärker als bisher“ für die Aus- und Weiterbildung der Ehrenamtlichen verantwortlich sein sollen. Damit kommt kurzfristig keine Entlastung, sondern gerade gegenteilig mehr Arbeit besonders auf Pfarrer zu. Der Bericht bezeichnet das liebevoll als „weitere Schwerpunktverschiebung.“
Dabei ist die Entlastung der Hauptamtlichen den Autoren des Berichtes durchaus ein Anliegen. So werden beispielsweise die Verantwortlichkeiten von Pfarrern drastisch eingeschränkt:
Das Organisieren und regelmäßige Gestalten von Gemeindefesten und Gemeindekreisen wie Frauendienst, Seniorenkreis und andere sowie Gottesdienste mit geringer Teilnehmerzahl gehören nicht zu den Kernaufgaben.
Nach meinen Erfahrungen findet das Gemeindeleben, besonders in ländlichen Regionen, maßgeblich außerhalb der Gottesdienste in verschiedensten Gruppen und Kreisen statt. Dass Pfarrer, die eine gute Gemeindearbeit machen wollen, diese Kreise einfach vernachlässigen könnten, halte ich für sehr kurz gedacht. Der Spruch von der „geringen Teilnehmerzahl“ bekommt ebenfalls einen bitteren Beigeschmack wenn man bedenkt, dass viele Pfarrer dann gar keine Gottesdienste mehr zu halten bräuchten.
Die Festlegung, dass ein Pfarrer nicht dafür verantwortlich ist, in jeder Kirche in seinem Einzugsgebiet einen Gottesdienst anzubieten, ist gut gemeint, aber in meinen Augen nicht zielführend. Das Problem sind nicht fehlende Festlegungen. Denn selbst, wenn die Kirchenleitung die Entscheidungen trifft, sind es die Pfarrer, die vor Ort unpopuläre Veränderungen gegenüber den Gemeindegliedern vertreten müssen. Außerdem ringen die Pfarrer natürlich mit ihren eigenen Ansprüchen an das, was sie in ihren Gemeinden leisten möchten. Dabei ist ein Verweis auf die Pfarrerdienstordnung seelsorgerisch wenig hilfreich (weder für die Gemeindeglieder noch für die Hauptamtlichen).
„Man müsste …“
Man beachte außerdem die bisherige konsequente Verwendung der unpersönlichen dritten Person: „Man sollte,“ „es müssen.“ Die Identität derer, die für diese Veränderungsprozesse verantwortlich sein sollen, wird im Kapitel „Konsequenzen für die Anstellungsträger“ enthüllt:
Die beschriebenen Veränderungen für die Arbeitsfelder im Verkündigungsdienst machen deutlich, wie wichtig es ist, dass die Anstellungsträger, Kirchenbezirk und Kirchgemeinde, und das bedeutet auch die Gemeindeglieder, ihre Verantwortung für das Gemeindeleben wahrnehmen.
Im Bericht werden sieben „Sachverhalte“ aufgezählt, in denen „Verantwortung wahrgenommen“ werden soll. In sechs von ihnen sind es die Kirchenvorstände, die sich doch bitte mal kümmern sollen. Es ist nicht abzustreiten, dass die Gemeinden in Zukunft eine stärkere Eigenverantwortung tragen werden. Aber dass die Verantwortung für die umzusetzenden strukturellen Veränderungen fast vollständig auf die Kirchenvorstände und damit die Gemeindeglieder gelegt wird, halte ich für unangemessen. Kirchenvorstände sind nach meiner Erfahrung im Moment schon jetzt oft fachlich überbelastet. Außerdem operieren viele Kirchgemeinden in sehr engen finanziellen Spielräumen. Viele können eine weitere Entlastung ihrer Verkündigungsmitarbeiter durch Verwaltungskräfte und ähnliches schlicht und einfach nicht stemmen.
Bei mir entsteht der Eindruck, als würde hier die Kirchenleitung Verantwortung von sich schieben. Zuerst stellt sie fest, dass die Landeskirche strukturell dringend reformbedürftig ist, und dann sollen die Kirchenvorstände sich darum kümmern. Aber wehe, eine Gemeinde wird kreativ und übertritt irgendwelche strukturellen Rahmenbedingungen; die will Kirchenleitung natürlich immer fest in der Hand behalten.
Mehr Arbeit gegen Überlastung
Die Arbeitsgemeinschaft scheint mit ihrem Bericht auf zwei Hochzeiten zugleich tanzen zu wollen. Auf der einen Seite definiert sie mit der Ehrenamtlichenförderung erweiterte Aufgabenbereiche und damit Verantwortungen für die Hauptamtlichen, auf der anderen Seite fordern sie die Entlastung derselben. Man kann aber nicht beides haben.
Dieses Problem wird auch bei einem weiteren, wahrhaft kuriosen Vorschlag des Berichtes deutlich: Es soll „[r]egelmäßige gemeinsame verpflichtende Fort- und Weiterbildungen“ geben, „um Erschöpfung und Überforderung vorzubeugen.“ Dort sollen die Hauptamtlichen den Wert von „schöpferischen Pausen“ kennenlernen. Der Tonfall des Berichtes wirkt auf mich an dieser Stelle äußerst herablassend. Ich habe noch nie jemanden erlebt, der eine Fortbildung als entlastend und entspannend erlebt hat, schon gar nicht Pfarrerinnen und Pfarrer.
Ausbildung: „Frömmigkeitseinübung gewährleisten“
Zum Schluss kommt der Bericht auch noch einmal kurz auf die Konsequenzen für die Ausbildungswege zu sprechen.
In der Tat liegt gerade beim Theologiestudium einiges im Argen. Ich nehme bei Studierenden und Lehrenden ein Auseinanderdriften wahr zwischen denen, die primär an Gemeindearbeit interessiert sind und denen, die sich viel lieber akademisch-wissenschaftlich mit Theologie auseinandersetzen. Das liegt unter anderem an der stark praxisfremden Ausrichtung aller theologischen Fächer außer der Praktischen Theologie und der äußerst dürftigen Kommunikation zwischen Landeskirche und Fakultät. Diese Probleme und die nötigen Schritte, um Inhalte mit den Fakultäten zu koordinieren, bleiben allerdings unausgesprochen.2 Stattdessen wird davon geträumt, bei den Studierenden „Persönlichkeitsentwicklung und Selbstreflexion“ zu fördern und „Frömmigkeitseinübung [zu] gewährleisten“, was für mich wieder extrem bevormundend klingt. Die Implikation, dass der Unzufriedenheit von Hauptamtlichen entgegengewirkt werden könne, wenn mit ihnen nur mehr Persönlichkeit und Reflexion eingeübt werden würde, ist ehrlich gesagt eine Zumutung.
Wenn es stimmt, dass innerhalb der nächsten zwanzig Jahre etwa die Hälfte der jetzigen Pfarrer_innen in den Ruhestand gehen, dann bedeutet dass, dass es in dieser Zeit einen massiven Generationenwechsel in der Pfarrerschaft geben wird. Ich sehe das als eine Chance, ganz grundlegend über unsere landeskirchlichen Strukturen nachzudenken. Diese Veränderungen erfordern es in meinen Augen, dass das Pfarramt (und die anderen hauptamtlichen Berufe) nicht mehr primär als „Amt“ verstanden werden, sondern als Raum, in dem Menschen, deren Herz für ihre Kirche schlägt, gabenorientiert und mit Rückhalt ihrer Landeskirche in und für die Kirchgemeinden arbeiten können.
Insgesamt empfinde ich die im Bericht der Arbeitsgemeinschaft beschriebenen Vorschläge nicht als maßgeblich berufsbildverbessernd. Viele Punkte, die bei Pfarrern tatsächlich für Unzufriedenheit sorgen (Residenzpflicht, Schulunterricht, räumliche Überdehnung) werden nicht einmal erwähnt. Ich würde mir wünschen, dass mehr über das Selbstverständnis von Pfarrerinnen und Pfarrern nachgedacht werden würde. Dass wir wegkommen von dem Bild des Pfarrers als Gemeindeleiter, der neben der Verkündigung auch noch Manager ist. Das ist für mich das Gegenteil von Gabenorientierung.3
An dieser Stelle möchte ich wieder einmal den ehemaligen Landesbischof der Kirchenprovinz Sachsen Werner Krusche zitieren, der schon 1975 in einem Referat diesen Gedanken Ausdruck verlieh:4
[D]aß es vermutlich nicht mit kleineren Korrekturen an den vorhandenen Berufsbildern und einigen Reformen der entsprechenden Ausbildungsgänge getan sein würde […], sondern daß angesichts der Entwicklung, die wir als Gemeinde Jesu Christi in unserer Gesellschaft vor uns sehen, möglichst umfassend, nüchtern und verheißungsgewiß darüber nachgedacht werden müßte, welche Auftragsschwerpunkte sich abzeichnen, für welche Aufgabenfelder hauptamtliche Kräfte nötig sein und welche Ausbildungsgänge sich dafür erforderlich machen werden. Umfassende Überlegungen sind deshalb nötig, weil wir in großen Schritten aus der weithin immer noch quasi-volkskirchlichen Situation, in der auf ganze Strecken noch wie früher, nur mit reduzierten Zahlen, gearbeitet werden konnte, in eine Situation einwandern, in der der Auftrag Jesu Christi so nicht mehr zureichend wahrgenommen werden kann.
Man beachte, dass Bischof Krusche (dessen Landeskirche mit der sächsischen zwar nur den Name gemein hat) das schon vor fast vierzig Jahren gesagt hat. Der Bericht der Arbeitsgruppe hinterlässt bei mir den Eindruck, dass meine Landeskirche heute immer noch lediglich um diese Aufgabe herumtänzelt.
Zum Schluss meine Frage an euch Kommilitoninnen und Kommilitonen: Wie ist die Situation in euren Landeskirchen? Was gibt es dort für Visionen, die das Pfarramt (und die anderen kirchlichen Berufe) zukunftsfähig machen könnten?
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Die Feststellung, dass die Perspektivlosigkeit der Kirchenleitung und die Unzufriedenheit der Hauptamtlichen sich direkt auch auf die Nachwuchsgewinnung auswirkt, kann ich bekanntlich bestätigen. ↩
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Ich finde es bezeichnend, dass weder Studierende noch Dozenten direkt an der Arbeitsgemeinschaft beteiligt waren. ↩
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Die Arbeitsgruppe findet auch, dass „Pfarrerinnen und Pfarrer […] von einfachen Verwaltungstätigkeiten zu entlasten“ seien. Wie die entsprechenden Verwaltungsangestellten finanziert werden sollen, bleibt jedoch offen. ↩
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Aus: Krusche, Werner: Die große Aufgabe der kleiner werdenden Gemeinde – Konsequenzen für die Ausbildung kirchlicher Mitarbeiter. ↩