Merkel auf dem Kirchentag – Ein Widerspruch

Eines der Highlights des Kirchentags in Stuttgart war den Teilnehmerzahlen nach zu urteilen die Veranstaltung „Digital und klug?“ mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Dort hat sie sich auch zur Vorratsdatenspeicherung1 geäußert und dafür „geworben“ (wie es auf evangelisch.de heißt). Nachdem Frau Merkel aus dem Publikum reichlich Applaus geerntet hatte und ihre Position von epd und evangelisch.de relativ unkritisch wiedergegeben wurde, möchte ich nun die äußerungen von Frau Merkel nicht unwidersprochen stehen lassen.

Die Kanzlerin sagte zum Thema, dass die Vorratsdatenspeicherung (VDS) nötig sei als Schutzmaßnahme vor internationalem Terror. „Ich würde mich sicherer fühlen, wenn wir so ein Gesetz haben,“ meinte sie. Dazu möchte ich nur sagen, dass es keine stichhaltigen Beweise dafür gibt, dass Verfahren wie die geplante VDS Straftaten tatsächlich verhindern oder deren Aufklärungsquote erhöhen. Der Bundeskanzlerin blieb nur noch, zu einem emotionalen Argument zu greifen („Ich würde mich sicherer fühlen …“). Wer so redet, klärt nicht auf, sondern versucht seine Zuhörer zu manipulieren.

Jedem Gegner der VDS riet Frau Merkel, sich zu überlegen „was er sonst noch an seinen persönlichen Daten schon alles irgendwo übergeben hat, worüber er sich gar keine Gedanken mehr macht. […] Allen anderen [privaten Unternehmen] geb’ ich [meine Daten], aber der Staat, der darf da gar nichts mit anfangen – das kann auch nicht richtig sein.“

Dieser Vergleich ist – freundlich formuliert – äußerst unangemessen (ehrlicher wäre die Formulierung „heimtückisch“). Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Kanzlerin an dieser Stelle bewusst versucht zu täuschen. Es ist eben ein Unterschied, ob ich meine Daten freiwillig an andere weitergebe – seien das Privatpersonen oder Unternehmen – oder ob der Staat sie zwangsweise sammelt. Außerdem sammeln Unternehmen meine Daten, um sie zu vermarkten.2 Der Staat will meine Daten sammeln, um mich (potenziell) juristisch zu belangen. Die VDS stellt jeden Bundesbürger unter den Generalverdacht, ein Straftäter zu sein. Da erscheint „Vermarktung“ gleich vergleichsweise attraktiv.

Die Art und Weise, wie die Kanzlerin auf dem Kirchentag mit solch kruden Vergleichen nach Applaus fischte, wirkt auf mich wie Rattenfängerei. Und das Kirchentagspublikum schien ihr größtenteils auf den Leim gegangen zu sein.

Zum Glück gab es vom Kirchentag auch kritischere Stimmen. So wurde zum Beispiel eine Kirchentagsresolution gegen die VDS verabschiedet.3

Ich kann nur hoffen, dass sich die evangelische Kirche weiter für netzpolitische Themen sensibilisieren wird. Wir brauchen eine Kirche, die sich konstruktiv und kritisch in Debatten wie die um die VDS einmischen kann und nicht emotional vorgetragenen Halbwahrheiten auf den Leim geht.

  1. Die Vorratsdatenspeicherung (VDS) (oder neuerdings „Mindestdatenspeicherfrist“) ist ein aktueller Gesetzesentwurf der Regierung welcher vorsieht, dass sämtliche Telefon- und Internetverbindungsdaten (wer wann wo wie lange mit wem kommuniziert hat) aller Bundesbürger zehn Wochen lang pauschal gespeichert werden. Dazu gehören die Rufnummern der beteiligten Anschlüsse, Zeitpunkt und Dauer der Anrufe sowie die IP-Adressen von Computern. 

  2. Die Datensammelei von privaten Unternehmen ist natürlich auch nicht unproblematisch. Deshalb muss der Staat manchmal aus Verbraucherschützer eingreifen und Richtlinien schaffen, die die Daten der Bürger schützen. Unter dem Deckmantel der VDS selbst bei der Datensammelei mitzumachen ist geradezu das Gegenteil von Verbraucherschutz. 

  3. Der Resulutionstext findet klare Worte für die VDS: „Vorratsdatenspeicherung stellt einen massiven Eingriff in unsere Grundrechte dar und zerstört die Vertraulichkeit unserer Kommunikation. Alle Menschen sind betroffen, auch Berufsgeheimnisträger wie Geistliche, ärzte, Anwälte und Journalisten.“