Kinderwagen-Odyssee
Vor ein paar Tagen bin ich erstmals ernsthaft mit einem Kinderwagen durch die Welt gereist. Es war ein ziemliches Abenteuer.
Alles fing damit an, dass ich in einem kleinen Vorort eine halbe Stunde mit der Bahn von Leipzig entfernt einen Kinderwagen kaufte (was man halt so braucht). Der Rückweg war erstaunlich beschwerlich. Auf dem Weg zum Bahnhof war der Fußweg entlang der Hauptstraße oft nur einseitig angelegt, sodass ich andauernd mit Wagen die Straßenseite wechseln musste. Dabei fiel mir zum ersten Mal auf, wie unflexibel man mit Kinderwagen ist. Es war eine Herausforderung, einen Moment zu finden, in dem die gewundene Hauptstraße lange genug frei war um als Fußgänger mit Wagen sicher darüber zu kommen. Kleine Verkehrsinseln für Fußgänger machten es leichter, auch wenn diese oft zu klein waren, um mit Kinderwagen sicher draufzupassen.
Am Bahnhof angekommen das nächste Hindernis: Zu meinem Gleis führte nur eine Unterführung. Der Aufzug der – wie ich gehofft hatte – dieses Problem lösen sollte, war natürlich defekt. Auf beiden Seiten. Offenbar bei der Bahn keine wirkliche Priorität.
Die Treppe abwärts konnte ich den Wagen irgendwie hinabwursteln. Gott sei dank hatte ich kein Kind darin. An der zweiten Treppe holte mich eine ältere Dame ein, die jedoch noch fit genug war, mir ihre Hilfe anzubieten. Zu zweit konnten wir den Wagen flink nach oben transportieren.
Als die Regionalbahn vorfuhr, die mich und meinen Kinderwagen zurück nach Leipzig bringen sollte, wurde mir schlagartig das nächste Problem bewusst. Ich musste mit dem Wagen in den Zug hinein, und zwar flink, bevor er weiterfahren würde. Ich bat einen jungen Mann um Hilfe und zusammen brachten wir den Wagen die steilen Stufen hinauf, die ich alleine vermutlich nie mit Wagen hinaufgekommen wäre. Oben angekommen wurde mir klar, dass ich mich versehentlich in einem kleinen Miniabteil eingeklemmt hatte. Weiter vorne konnte ich das Fahrradabteil sehen, kam aber mit dem Wagen nicht durch die schmalen Türen meines Abteils. Ich steckte fest. Wenn man etwas mehr Kinderwagenerfahrung hat denkt man vermutlich daran, am Zug außen auf die Hinweisschilder zu achten, welcher Eingang barrierefrei beziehungsweise für Fahrräder geeignet ist.
Zurück in Leipzig half mir eine junge Frau, den Wagen aus dem Mini-Abteil wieder nach draußen zu bugsieren (man gewöhnt sich erstaunlich schnell daran, wildfremde Leute um Hilfe bitten zu müssen).
Der Leipziger Bahnhof ist ausgestattet mit einer wunderbar komfortablen Rollrampe, die zwar für Fußgänger irgendwie rutschig und gewöhnungsbedürftig ist, für Kinderwagen jedoch perfekt. Am Straßenbahnhof musste ich mich nur noch durch endlose Menschenmengen manövrieren und in meine Straßenbahn einsteigen. In der Bahn wurde es ziemlich eng als eine Mutter mit einem dieser riesigen Duplex-Kinderwagen zustieg. Ich fühlte mich wie ein Scharlatan mit meinem Kinderwagen, in dem nichts weiter drin lag als meine Jacke.
In meinem Alltag als ungebundener Student ist mir selten bewusst, wie viele kleine Barrieren überall in der Welt verstreut sind, die für mich kein wirkliches Hindernis darstellten. Für eine Mutter mit Kinderwagen (oder einen Menschen mit Rollstuhl) scheint eine Reise mit öffentlichen Verkehrsmitteln eine mittlere Odyssee zu sein. Und spät abends an einer Unterführung mit defektem Fahrstuhl sitzen diese Leute ganz einfach fest.
Dabei sind Mütter (und manchmal auch Väter) mit Kinderwagen zumindest in Leipzig wirklich keine Seltenheit. Früher fiel mir das gar nicht so auf, aber nun bewundere die Kinderwagenfahrer dafür, wie sie scheinbar mühelos den Betondschungel um sich herum navigieren. Ich hoffe, ich kann mir deren Tricks und Kniffe noch rechtzeitig abgucken, bevor es auch für mich ernst wird.
Heute morgen war ich wieder mit dem Zug unterwegs. Auf einer Bahnsteigtreppe sah ich eine junge Mutter, die versuchte ihren Kinderwagen irgendwie diagonal die Treppe hinab zu bugsieren. Ich bat ihr meine Hilfe an und gemeinsam brachten wir den Wagen hinab und auf der anderen Seite wieder hinauf. Die Frau konnte kaum ein Wort Deutsch, trotzdem rief sie mir im Gehen ein aufrichtiges „Dankeschön“ nach. Vielleicht ist das ja auch ein kleiner Gewinn, dass Menschen in solchen kleinen Begegnungen so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln.
Das entschuldigt natürlich nicht die Bahn, ihre Fahrstühle nicht in Ordnung zu halten.