Liebe Kirche, wir brauchen euch nicht!
Vor ein paar Tagen war ich mit beim jährlichen Treffen des sächsischen Bischofs samt Kirchenleitung mit den Professoren und Mitarbeitenden der theologischen Fakultät in Leipzig. Ich kam dort mit recht offenen Erwartungen hin. Die Dozenten waren freundlich und es gab ein Buffet mit Kaffee und fein belegten Brötchen.
Die etwa 25 Anwesenden ergaben ein sehr homogenes Bild: Fast alle – bis auf die Verwaltungsangestellten der Fakultät und die Gleichstellungsbeauftragte der EvLKS – waren Männer um die 50 in schwarzen Anzügen. Dazu ich als studentischer Vertreter. Immer, wenn es im Gespräch um „die Studierenden“ ging, wurde mir bedeutungsschwanger zugenickt.
Eine merkwürdige Lethargie lag über dem gesamten Treffen. Es ging damit los, dass Bischof Bohl berichtete, was ihn so im Moment beschäftige. Da waren die Kirchenmusiker, denen es inzwischen so schlecht gehe, dass sie jungen Leuten davon abrieten, selbst Kirchenmusiker zu werden. Dies sei dem Bischof ein deutliches Warnsignal. Das nächste war der Rückgang der Pfarrstellen und die damit verbundene „Überdehnung“ der vorhandenen Pfarrerinnen und Pfarrer. Besonders in ländlichen Regionen, wo öfters ein Geistlicher eine zweistellige Anzahl Kirchtürme zu betreuen habe, sei dies spürbar. Dazu komme noch, dass diese Stellen so unattraktiv seien, dass sie nur mit Berufseinsteigern (also Vikaren frisch aus dem Studium) besetzt werden können, weil sich niemand anderes für sie bewerben möchte. Der Bischof beschrieb seine „Gewissensbisse“ bei dem Gedanken, alleinstehende junge Pfarrerinnen irgendwo in die Oberlausitz zu schicken, wo diese dann den Rest ihrer besten Jahre absitzen dürfen. Aber so müsse es wohl sein. Er betonte, dass er es nicht zu „weißen Flecken“ auf der Kirchenlandkarte kommen lassen wolle – jede Kirchgemeinde, und sei sie auch noch so klein, müsse von der Landeskirche mit Personal unterstützt werden – und sei es auch noch so marginal.
„Trauen Sie sich doch was zu!“
Diese Beobachtungen mündeten in eine Diskussion über die Zukunft des Pfarrbildes. Hauptsächlich wurde unter diesem Punkt die Vermittlung der (bitteren) Realität an die Nachwuchstheologen verstanden. Die Studierenden sollen so gut es geht auf die Anforderungen des „modernen“ Pfarramts vorbereitet werden. Über strukturelle Veränderungen, die den Pfarrberuf nachhaltig tragbar machen könnten, wurde nicht gesprochen.
Eine junge wissenschaftliche Mitarbeiterin wirft ein, dass in Anbetracht der düsteren Zukunftsaussichten im sächsischen Pfarramt viele Studierenden ihre Berufswahl überdenken und lieber noch ein paar Semester promovieren, statt sich schon so jung von der Kirche verheizen zu lassen. Der erdrückende Verwaltungsapparat und übergroße Wegstrecken ließen einfach nicht genug Raum für die eigentliche theologische Arbeit. Der Bischof wischt den Einwand vom Tisch mit der Bemerkung, jeder Pfarrer könne seine Aufgabenfelder selbst wählen. Da solle man sich einfach die Zeit für die Predigtvorbereitung nehmen.
Ich frage erstaunt nach: Gibt es nicht auch Aufgaben in der Kirchgemeinde, die erledigt werden müssen? Ich kann als Pfarrer doch nicht einfach alle Aufgaben, für die ich mich nicht berufen fühle, schleifen lassen? Der Bischof ist überzeugt, dass der Nachwuchs das schon alles hinbekommen wird. Die jungen Leute „müssten sich einfach mal was zutrauen.“
Mir entgleiten etwas die Gesichtszüge. Als Lösung für die düstere Zukunftsprognose meiner Kirche rät unser Bischof uns, dem Nachwuchs, uns zusammenzureißen und uns mal „was zuzutrauen.“ Das klingt für mich so, als seien jede Pfarrerin und jeder Pfarrer mit Burnout selbst schuld, dass er oder sie sich überfordert hat. „Die Arbeitsbelastung ist in anderen Berufsfeldern ja genau so groß,“ versichert mir der Bischof.
Das Gespräch dreht sich noch ein paar Minuten im Kreis, danach wird zum nächsten Tagesordnungspunkt übergeleitet.
Liebe Kirche, ihr braucht uns, nicht umgekehrt!
Das war nur ein Ausschnitt aus dem vierstündigen Treffen. So oder ähnlich verlief aber der ganze Nachmittag. Der Bischof und die Kirchenleitung haben offenbar beschlossen, für die Nachhaltigkeit des Pfarrberufs erst einmal nichts zu unternehmen und zu schauen, wie lange die Nachwuchspfarrer und -pfarrerinnen das noch mitmachen – zumindest bleibt dieser Eindruck bei mir.
Die Meinung der Kirchenleitung scheint immer noch zu sein, dass sie uns einen großen Gefallen tut, wenn wir einen Platz im Pfarramt bekommen. Dabei gibt es inzwischen zahlreiche attraktive Alternativen in der freien Wirtschaft (oder anderen Landeskirchen), sodass wir überhaupt nicht mehr von den Kirchen abhängig sind. Wir müssen uns das nicht antun. Wem der Nachwuchs so egal ist, der braucht sich nicht wundern, wenn irgendwann kein Nachwuchs mehr da ist.
Es ist mir völlig unbegreiflich, wie ein Bischof diese Probleme deutlich thematisieren kann, um danach keinerlei Interesse daran zu zeigen, diese praktisch anzugehen. Mit ihrer jetzigen Einstellung wird die Kirche auch die wenigen, die noch echtes Interesse an ihrer Zukunft haben, vergraulen.
Ich sage nicht, dass ich die ultimative Idee habe, wie wir die Kirchen retten, die ländlichen Gemeinden revitalisieren und Pfarrer und Pfarrerinnen entlasten können. Aber da stecken doch offensichtlich strukturelle Probleme dahinter, die langfristig nur schlimmer werden. In unseren Kirchen muss sich grundlegend etwas verändern. Mit der jetzigen Kirchenleitung sehe ich da wenig Hoffnung.
In zwei Wochen werde ich mein Gemeindepraktikum in der sächsischen Landeskirche beginnen. Ich bin gespannt, ob sich mir darüber noch ein ganz anderes Bild von kirchlicher Arbeit zeigen wird. Es ist ja ein Markenzeichen der Kirche, dass an der Basis manchmal ganz neue Wege gegangen werden, die an der Spitze niemand mitbekommt, geschweige denn unterstützt.
Aber die Gewissheit, dass ich mein Leben für diese Kirche investieren möchte, habe ich an diesem Tag verloren.
Dieser Beitrag ist zuerst erschienen auf theologiestudierende.de. Zu diesem Thema wurde ich auch von evangelisch.de interviewt.