Christian Möllers Einführung in die Praktische Theologie

Christian Möllers Einführung in die Praktische Theologie, erschienen 2004,1 ist eines der neueren Überblickswerke über die Praktische Theologie.

Möller (*1940) selbst war nach seinem Studium einige Jahre im Pfarramt, bevor er ab 1962 in Wuppertal und später Heidelberg Professor für Praktische Theologie wurde. Sein Spezialgebiet ist der Gemeindeaufbau, er selbst versteht sich als Brückenbauer zwischen den einzelnen Unterdisziplinen der Praktischen Theologie. Daher verwundert auch nicht, dass seine Einführung in die Praktische Theologie eine Zusammenschau dieser Disziplinen bietet und Anregungen gibt, wie sich diese gegenseitig ergänzen und bereichern können.

Der Selbstanspruch des Buches ist, den Lesern zu einem eigenen Urteil zu verhelfen und Freude an der Praktischen Theologie zu wecken.

Die Einführung ist eine der kürzeren Grundrisse der Praktischen Theologie (viele andere umfassen mehrere Bände). Dennoch ist sie sehr umfangreich, die etwas unter 300 Seiten werden gut genutzt. Das Schriftbild ist etwas klein geraten, an den Seitenrändern bleibt dafür genügend Platz für kurze Notizen. Es ist übersichtlich gesetzt, mit eingerückten und grau hinterlegten Abschnitten, die visuell Schwerpunkte setzen und längere Zitate kennzeichnen.

Die meisten der Kapitel sind angenehm kurz gehalten und daher auch gut zum Überfliegen und wiederholenden Lernen geeignet. Außerdem sind häufig an den Seitenrand Stichwörter gedruckt, die den nebenstehenden Absatz knapp zusammenfassen – für die Übersichtlichkeit eine super Idee.

In manchen Kapiteln wechselt Möller vom Fließtext zu einem tabellarischen Überblick. Das ist zunächst überraschend, aber sehr übersichtlich.

Was etwas unübersichtlich ist, sind die zahlreichen Überschriften, die teilweise bis in die fünfte Ebene gehen und ganz unterschiedlich gekennzeichnet sind. Da vergisst man schon mal, worum es gerade eigentlich ging.

Der Ort der Praktischen Theologie

Im ersten Kapitel schreibt Möller zunächst über die Entstehung und Problemstellung der Praktischen Theologie im Allgemeinen. Die Praktische Theologie fragt laut Möller danach, wie Glaube praktisch werden kann, ohne an der praktischen Umsetzung zu scheitern. Sein Paradigma baut auf die Schritte Erleben, Erglauben, Erfahren und Erneuern. Diese Schritte geht er am Beispiel der Emmausjünger durch und erklärt, wie sie ein Fundament für praktisch-theologisches Arbeiten bilden können.

In einem historischen Rückblick auf die Geschichte der Praktischen Theologie kommt der Autor auf Schleiermacher zu sprechen, er fragt aber auch nach Ansätzen in der Zeit von der Alten Kirche zum 19. Jahrhundert – also vor der wissenschaftlichen Etablierung der Praktischen Theologie – und entdeckt dabei praktisch-theologische Überlegungen schon bei Gregor von Nazianz und Johannes Chrysostomus.

In seiner Schilderung der Entwicklung der Praktischen Theologie nach Schleiermacher im 20. Jahrhundert stellt Möller die drei „Gestalten“ kerygmatisch, empirisch und spirituell anhand ihrer wichtigsten Vertreter vor.

In einem Diskussionsteil versucht der Autor, die Entwicklung von liberaler zu kerygmatischer (Nach dem ersten Weltkrieg), zu empirischer (60er Jahre) und schließlich zur spirituellen Gestalt (Bohren und Josuttis) der Praktischen Theologie logisch anhand der historischen Hintergründe nachzuvollziehen.

Der Text arbeitet sehr strukturiert und mit vielen Zitaten und Beispielen, um die Kernaussagen der einzelnen Gestalten zu illustrieren. Man bekommt ein Bild von den Ansprüchen der einzelnen Persönlichkeiten. Das meiste, was hier gesagt wird bekommt man zwar auch in einem guten Proseminar zu hören, aber etwas doppelt gehört zu haben hat noch niemandem geschadet.


Nach dieser ersten Einleitung in die Praktische Theologie im Allgemeinen geht das Buch sehr strukturiert vor. Nach dem gleichen, dreiteiligen Schema behandelt es nacheinander die Teildisziplinen Pastoraltheologie, Oikodomik, Liturgik, Homiletik, Poimenik, Kasualien, Katechetik und Diakoniewissenschaft.

Auffällig dabei ist, dass Möller versucht, jede Disziplin gleichermaßen zu würdigen, zu manchen allerdings weniger zu sagen hat als zu anderen. (Besonders fällt das beim sehr kurzen Abschnitt zu den Kasualien auf) Ob das daran liegt, dass er sich dort weniger gut auskennt, oder ob einfach kaum Forschung auf diesen Gebieten betrieben wurde, bleibt unklar.

Zunächst kommt ein geschichtlicher Überblick über die biblischen und historischen Wurzeln der jeweiligen Teildisziplin (Stationen der Geschichte). Daraufhin wird auf einzelne Positionen im 20. Jahrhundert näher eingegangen. Dritter Teil ist die sogenannte Diskussion, in der der Autor die geschichtliche Entwicklung der Disziplinen auswertet und selbst Stellung bezieht.

Stationen der Geschichte

In den Abschnitten Stationen der Geschichte sucht Möller nach den Ursprüngen der Teildisziplinen. Dabei ist ihm die Suche nach den historischen Hintergründen der Praktischen Theologie auch über Schleiermacher hinaus besonders wichtig. Er versucht den Rückgang zu NT und AT, Altkirche und Reformation und fragt nach den Grundlagen der Disziplinen. So findet er z. B. die Ursprünge der Pastoraltheologie in der Rolle von Priestern, Propheten und Schriftgelehrten im Alten Testament; die ersten oikodomischen Überlegungen sieht er im Neuen Testament in der Rede vom Reich Gottes als Salz der Erde oder Leib mit vielen Gliedern.

Positionen im 20. Jahrhundert

In seiner Rückschau auf das 20. Jahrhundert geht Möller deutlicher ins Detail. Wie bei der Vorstellung der Praktischen Theologie im Allgemeinen geht Möller von den Grundströmungen „Kerygmatisch“, „Empirisch“ und „Spirituell“ aus. Dabei fällt auf, dass sich dieses Schema durchaus auf alle Bereiche der Praktischen Theologie gleichermaßen anwenden lässt.

Besonders in Disziplinen, in denen in den letzten Jahren viel passiert ist, haben viele Konzepte keine lange Geschichte und sind schwer zu schematisieren und einzuordnen. Ich frage mich, wie viele der genannten Ansätze sich bis heute bewährt haben.

Inhaltlich orientiert sich Möller bei der Vorstellung der einzelnen Entwürfe sehr stark an Personen. Da kann man als unerfahrener Leser schon mal den Überblick verlieren. Durch die Konzentration auf einzelne Stimmen ist es teilweise schwer zu erfassen, worum es bei den „Gestalten“ im Kern geht. Dafür bleibt dieser Teil eher neutral und lässt die verschiedenen Entwürfe für sich sprechen. Eine Bewertung wird dem Leser selbst überlassen.

Diskussion

Nach diesen Stationen der Geschichte folgt stets ein Diskussionsteil, in dem der Autor die Entwicklung der Disziplinen noch einmal hinterfragt, die für ihm wichtigsten Gedanken noch einmal zusammenfasst und seine eigene Interpretation und Position zum Besten gibt. Erfrischender weise traut sich Möller dabei, von sich selbst als „ich“ zu schreiben, was ja mitunter in wissenschaftlicher Literatur verpönt ist, aber seiner Glaubwürdigkeit und Verständlichkeit zugute kommt.

Möller beschreibt das Verhältnis von kerygmatischer, empirischer und spiritueller Gestalt als eine durch historische Hintergründe bedingte Entwicklung. Dieses Von-Zu-Schema erweckt teilweise den Eindruck, als wären älteren Ideen nicht mehr aktuell oder verwertbar. Dabei scheinen mir manche dieser Ideen für die heutige Zeit höchst bedenkenswert.

Diese Diskussionsteile sind in meinen Augen die stärksten des Buches. Der Autor arbeitet viel mit anschaulichen Beispielen aus der Bibel und Anekdoten aus seiner eigenen Studienzeit. Allerdings gibt es bei der Diskussion zahlreiche inhaltliche Überschneidungen mit den vorherigen Kapiteln. Das kann irritieren, wenn man das Buch hintereinander weg liest.

Anhang

Nach der Behandlung der letzten praktisch-theologischen Disziplin, der Diakoniewissenschaft, folgen ein paar Seiten Anhang.

In diesem Anhang identifiziert sich der Autor auf sympathische Weise mit den geplagten Studierenden in der Examensvorbereitung. Möller erzählt, wie er diese letzte Phase seines Studiums erlebt hat und gibt praktische Ratschläge, wie man beim Lernen am Besten vorgeht und seine Zeit einteilt. Er nennt Tipps für praktische und mündliche Examensprüfungen, die ihm für sein eigenes Examen geholfen haben. Die Crux des Examens und des ganzen theologischen Studiums ist für ihn nicht die Anhäufung von Wissen, sondern die eigene theologische Urteilsfindung. Dieses eigene Urteil sollen Studierende ruhig auch in Prüfungen mit einbringen, viele Prüfer würden ein solides eigenes Urteil mindestens genauso hoch schätzen wie Faktenwissen.

Besonderes Augenmerk legt Möller auf die Examenspredigt. Was folgt, kann man schon fast als eine kleine, kompakte, praktische Predigtlehre bezeichnen. Er selber bezeichnet es als „unmaßgebliche Ratschläge“, da das Entscheidende die eigene Arbeit mit dem Bibeltext sein müsse.

Nach diesem Abschnitt folgt eine umfangreiche Literaturliste, in der zahlreiche Bücher, thematisch sortiert, mit einem kurzen Kommentar empfohlen werden. Die Kommentare sind besonders hilfreich, da man so gleich einen Eindruck von den spezifischen Eigenarten und Schwerpunkten der jeweiligen Literatur bekommt. Insofern ist diese Literaturliste deutlich mehr als nur eine Sammlung von Literaturangaben.

Den Abschluss des Buches bildet ein Register. Dieses umfasst allerdings nur Bibelstellen und Personennamen. Ich persönlich hätte mir ein Stichwortverzeichnis dazugewünscht.

Fazit

Die Einführung in die Praktische Theologie von Christian Möller ist eine gründliche Abhandlung über die Teildisziplinen der Praktischen Theologie. Es beinhaltet sowohl einen Überblick über die historischen und biblischen Grundlagen der Praktischen Theologie als auch Diskussion aktueller Problemstellungen und Konzepte. In seiner Struktur ist das Buch nicht nur zum durchlesen, sonder auch als Lernmaterial gut geeignet.

Der Ausdruck ist gut verständlich und der Autor illustriert seine Ausführungen durch anschauliche biblische und persönliche Beispiele.

Nicht uneingeschränkt empfehlenswert ist es für völlige theologische Neulinge oder als alleinige Lernquelle. Nicht alle Begriffe und Vokabeln werden direkt erklärt und eine gewisse Vorkenntnis wird erwartet. Besonders das Fehlen eines Stichwortverzeichnisses macht das gezielte Nachlesen über einzelne Themengebiete schwierig.

Die Stärke des Buches liegt darin, dass zwischen den Teildisziplinen gedankliche Verbindungen und parallele historische Entwicklungen aufgezeigt werden. Das erleichtert sowohl das Verstehen als auch das Systematisieren der Praktischen Theologie als Gesamtes.

  1. Christian Möller, Einführung in die Praktische Theologie (UTB 2529), Tübingen/Basel 2004. UTB stellte mir für diesen Bericht ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung.